Mein Freund der Feind

Es ist kein Geheimnis, dass Marken heutzutage in ein breiteres Narrativ passen müssen, bei dem es nicht nur um die Verfügbarkeit von Produkten und Servicedienstleistungen geht. Die immense Bedeutung von professionellem Storytelling ist unter Kommunikationsexperten unbestritten. Und dennoch sind viele Markenerzählungen sterbenslangweilig. Das liegt nicht selten daran, dass ein entscheidendes Element vernachlässigt wurde, ohne das kein spannender Plot zu stricken ist: der Konflikt.

Ob Roman, Theater oder Kino, jede gute Geschichte basiert auf einem Konflikt, einem Dilemma oder gar einem Widerspruch. Gemeint ist der Kampf des Protagonisten, angesichts scheinbar unüberwindlicher Hindernisse doch noch das zu bekommen, was er oder sie will. Ohne Konflikt kann kein Spannungsverhältnis entstehen, das unser Interesse weckt und uns über zehn Netflix-Staffeln bei der Stange hält: Wir wollen wissen, ob unser:e Held:in erfolgreich sein oder scheitern wird.

Ohne die Möglichkeit des Scheiterns bleibt jede Geschichte flach, vorhersehbar und damit gähnend langweilig. Leider ist ein Großteil aller existierenden Markeninhalte genau das. Laut der weltweiten Studie Meaningful Brands (Havas) wird mehr als die Hälfte des von Marken publizierten Contents als belanglos erachtet. Der Grund hierfür ist keinesfalls eine generelle Ablehnung kommerzieller Inhalte, sondern das Fehlen eines Konflikts (sowie die in einem älteren Blogartikel
beschreibene Verkennung von Storytelling als Message Making). In den meisten aller heute existierenden Markenerzählungen sind die Charaktere nett und die Schauplätze freundlich. Schließlich soll keinerlei schlechtes Licht auf den Absender fallen. Deshalb passieren den Protagonisten auch ausschließlich wunderbare Dinge: wie von Zauberhand gelingt ihnen einfach alles. Weil Probleme verpönt sind, werden schwierige Themen unter den Tisch gekehrt – #positivevibesonly.
Doch warum sollte sich jemand für ein solch realitätsfremdes Heile-Welt-Szenario ernsthaft interessieren?

»Good stories must travel through conflict. And in epic stories, the conflict must become unbearable.« Vor dem genannten Hintergrund, den das Zitat von Donald Miller, Autor des Bestsellers Storybrand, so treffend auf den Punkt bringt, finden Sie im Folgenden eine Kurzbeschreibung der fünf Konfliktarten, die eine spannende Geschichte ausmachen.

Pflichtlektüre für jeden, der effektiv kommunizieren will. Verlinkt ist die deutschsprachige Ausgabe.

#1 Der innere Konflikt

Einige der spannendsten Romane und Filme drehen sich um den inneren Konflikt des Protagonisten. Intuitiv wird aber genau das in der Markenkommunikation vermieden. Dabei könnte in vielen Fällen das Eingeständnis von Zerissenheit oder gar Selbstzweifeln dabei helfen, eine Marke authentischer und sympathischer erscheinen zu lassen sowie die eigene Stärke zu betonen.
Welche Bedenken könnten Ihre potenziellen Kunden haben, wenn sie bei Ihnen kaufen? Welche Gerüchte oder Herstellungsaspekte könnten sie abschrecken? Insights dieser Art sollten in den Mittelpunkt einer Geschichte gestellt werden, um Unsicherheiten in Verständnis umzumünzen.

#2 Der Antagonist

Es ist der Klassiker unter den Konflikten: David gegen Goliath, Harry Potter gegen Lord Voldemort, Batman gegen Joker. In der Markenkommunikation ist er ebenfalls häufig anzutreffen: BMW gegen Mercedes, Pepsi gegen Coke, Burger King gegen McDonald’s. Doch birgt vergleichende Werbung Fallstricke. Ist sie nicht gut durchdacht, kann sie kleinlich wirken oder Sympathien und Aufmerksamkeit auf die Konkurrenz lenken.
Unbedingt zu beachten ist, dass der Gegenspieler-Konflikt ausschließlich für Challenger Brands in Frage kommt. Als diese müssen Sie ihre Story außerdem so erzählen, dass sie nicht nur für die eigene Kernzielgruppe, sondern für ein breites Publikum unterhaltsam wird. Als Transportmittel wählen Sie in diesem Fall bitte immer und ausnahmslos: Humor. Fragen Sie sich dabei, wie Sie Ihren größeren Rivalen auf die Schippe nehmen können.

#3 Die Naturkatastrophe

In der Filmbranche erfreut sich die Naturkatastrophe zunehmender Beliebtheit und hat sogar ein neues, als Öko-Apokalypse oder Cli-Fi bezeichnetes Genre hervorgebracht.
Bezogen auf die gegenwärtige Werbelandschaft wird diese Kategorie noch immer ausgeklammert. Konfliktvermeidung statt Konfliktbewältigung: Marken wollen ihre Kunden zu umweltfreundlichen Entscheidungen bewegen, sie aber nicht mit den Folgen der Untätigkeit erschrecken.
Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass Sie Ihre Werbeflächen bitte nicht mit Bildern überfluteter Städte oder brennender Wälder füllen sollten (und erinnere gern an den Beitrag The Science Of What Makes People Care,
insbesondere an das enthaltenen Greenpeace-Beispiel). Sie können aber durchaus darüber nachdenken, Aufwand und Anstrengungen darzustellen, die Sie zur Entwicklung Ihres grünen Produkts unternommen haben. Fragen Sie sich, wofür Ihr Unternehmen kämpft, welchen Beitrag Ihre Marke leistet, um unsere krisengebeutelte Welt zu einem besseren Ort zu machen. Gibt es einen ökologischen Brandherd, den Sie zu entschärfen helfen? Fragen wie diese sind wahre Relevanztreiber, da sie die Rolle einer Marke schärfen. Außerdem regen Szenarien wie diese die Vorstellungskraft Ihrer Zielgruppe deutlich intensiver an als die verklärte Darstellung einer perfekten Welt.

#4 Mensch vs. Maschine

Die Beziehung zwischen Menschen und Maschinen ist eines der ganz großen Themen unserer Zeit. Rationalisierung auf der einen, unzählige neue Möglichkeiten auf der anderen Seite.
Um technische Produkte zu verkaufen konzentrieren wir uns im Marketing meistens auf deren Vorteile. Dabei lügen wir uns allerdings auch jedes Mal ein kleines bisschen in die eigene Tasche. Es gibt auch Schattenseiten – und manchmal lassen sich die Stärken eines Angebots viel eindrucksvoller hervorheben, wenn sich die eigene Kommunikation auf ebenjene Kehrseiten stützt.
Können Sie Insights aufdecken, die die Bedenken gegenüber einer Produktkategorie aufgreifen, um dann eine Alternative zu präsentieren? Können Sie Aufklärungsarbeit leisten bzw. komplex erscheinende Technik für jedermann zugänglich und anwendbar machen? Können Sie dafür sorgen, dass sich Technologie hilfreich und vertraut anfühlt und nicht nur mechanisch und effizient?

Schönfärberei droht Purpose als Modeerscheinung zu entwerten. Gut, dass moderne Konsumenten ein feines Gespür für Trittbrettfahrer entwickelt haben.

#5 Der Gesellschaftskonflikt

In der Belletristik nimmt es der Protagonist mit gesellschaftlichen Kräften auf: Vorurteile, Ignoranz oder Unterdrückung. Authentisch abgeleitet und richtig aktiviert kann ein gesellschaftlicher Konflikt aber auch Menschen an eine Marke binden und dazu beitragen, die Welt ein kleines Stückchen besser zu machen. Sie ahnen es bereits und Sie liegen richtig: ich spreche von meinem Lieblingsthema, dem Brand Purpose.
Purpose Marketing liegt schwer im Trend. Und das ist gut so! Allerdings haben Hypes auch die Eigenschaft, Manager zu elektrisieren, was nicht selten zu einem oberflächlichen Umgang und hastig geschriebenen Repositioning Stories führt. Kann das gut gehen? Die Antwort ist: nein.
Sollten Sie mit dem Gedanken spielen, ihrem Unternehmen oder Ihrer Marke mit Purpose ein zeitgemäßes Update zu verpassen, lege ich Ihnen den New Business-Artikel Un***k Brand Purpose ans Herz. Sollten Sie noch nicht mit dem Gedanken spielen oder Purpose gar für eine Modeerscheinung halten, die schon irgendwann wieder vorüber gehen wird, empfehle ich Ihnen den Artikel erst recht. 😉

Vom Konflikt zur Lösung

Einige der in diesem Beitrag genannten Vorschläge werden sich für Sie womöglich kontraintuitiv anfühlen. Insbesondere dann, wenn Sie aus dem klassischen Content Marketing kommen. Schließlich haben wir dort die Notwendigkeit mit der Muttermilch aufgesogen, stets das Positive zu betonen. Das soll natürlich auch weiterhin Ihr Ziel bleiben. Vielleicht haben Sie dennoch etwas Inspiration gefunden, um die positive Rolle Ihrer Marke authentischer herzuleiten und relevanter zu erzählen. Zweifelsfrei ist eine glückliche Auflösung für kommerzielles Storytelling entscheidend. Doch muss potentiellen Kunden erst einmal die Möglichkeit gegeben werden, einer Marke ein gewissen Maß an Bedeutung in ihrem Leben beizumessen, um im Ergebnis ein Interesse an einem Angebot entwickeln zu können. Und genau deshalb braucht es den Konflikt.