Maß und Mitte
Glosse – Ende März 2020 schwadronierte Markus Söder (CSU) über die Vorzüge von – na klar – Markus Söder: »In der Krise wird oft nach dem Vater gefragt.« Das gewohnt selbstbeweihräuchernde Zitat stammt aus einem Spiegel-Interview, das der bayrische Ministerpräsident dem Nachrichtenmagazin zu Beginn der Corona-Pandemie gab.
Etwas mehr als ein Jahr später streichelt sich die selbsternannte Vaterfigur verträumt das Bavaria One Oberarm-Tattoo und greift nach den Sternen: Am vergangenen Sonntagabend verkündete er Land und Laschet, dass er sich für geeignet halte, das höchste Regierungsamt der Republik auszufüllen. Panisch beginnen 83 Millionen Adoptivkinder, Söders Kanzler-Dementis nachzuzählen, merken aber rasch, dass zehn Finger dazu nicht ausreichen.
Das Misstrauen gegen Gevatter Wendehals ist groß. Zu oft hat sich Söder auf Kosten anderer profiliert. Wer mit Unworten wie »Asyltourismus« daran scheitert, die AfD rechts zu überholen, dann halt den Blinker links setzt, um es mit zur Schau getragener Klimabereitschaft zu versuchen, gilt zu Recht als Opportunist mit Faible für populistische Grenzüberschreitungen.
Was also darf man inmitten der dritten Corona-Welle von einem erwarten, der in Anbetracht jeder Krise sein Vernunft suggerierendes Narrativ von »Maß und Mitte« bemüht, tatsächlich aber lieber Schlangenlinien fährt? Söder erklärt, dass er damit »eine Balance zwischen den Interessen« meine, was ein Auspendeln von Sicherheitsmaßnahmen und Freiheiten bedeutet und in »Home Office nach Möglichkeit« mündet. Leider ist die Corona-Pandemie aber eine interdependente Krankheit, zu deren erfolgreicher Bekämpfung sich Menschen nicht »nach Möglichkeit« eigenverantwortlich an Empfehlungen, sondern zwingend im Kollektiv an Regeln halten müssen. Werte, die einander bedingen, lassen sich nun mal nicht ausgleichen. Statt um Balance geht es um Kausalität. Erst durch strikte Sicherheitsvorkehrungen gelangen wir zurück zur Freiheit.
Doch Einwände der Wissenschaft und anderer diabolischer Mächte holen einen wie Pater Markus nicht von der Kanzel. Dann doch lieber Kreuze aufhängen. Und bis das Virus weggebetet ist, werden die Nüßlein-Masken enger geschnallt. Wer nicht glauben will, muss fühlen.
Söders »Weg von Maß und Mitte« ist kein Prinzip zur Krisenbewältigung, er ist ideenloser Normalitarismus zur Differenzierung von Parteien, die sich im Gegensatz zur ach-so-christlichen Union für eine Richtung entscheiden können. Doch keine Bange, Söders bundesweite Vaterschaft wäre deshalb noch lange nicht das Ende der guten Hoffnung. Denn eines ist gewiss: Für ein bisschen Macht würde Markus Söder einfach alles tun – womöglich sogar das Richtige.